Auch das noch – Minitexte

Am Mittagstisch

Es fehlte Salz. Das war schon immer so, und das würde auch immer so bleiben. Wie jeden Tag salzte Mattheo Baldauf seine Suppe nach und wie jeden Tag schimpfte seine Frau, er solle nicht so viel Salz essen, das sei ungesund.

    «Weiß ich doch, das wurde mir erst kürzlich von einer Expertin erklärt», sagte Mattheo und ließ noch eine Prise mehr als sonst in den Teller rieseln.
    «Wie du meinst, du wirst schon sehen», sagte seine Frau.
 
Was genau und wann er es sehen werde, wollte Mattheo noch wissen, denn der Tradition willen sollte der tägliche Disput nicht zu früh enden. Er wurde ordnungsgemäß abgehandelt, zweimal täglich zu den Mahlzeiten.

 

 

Schneematsch und Nutella

Putzen ist überbewertet. Sage ich. Meine Frau sieht das anders. Sie besteht darauf, dass es immer ordentlich aussieht – es könnte ja jemand vorbeikommen. In Wahrheit ist es so, dass wir gar keinen Platz haben für Besucher. Wir besuchen; wir werden nicht besucht – mit drei kleinen Kindern musst du einfach mal raus aus der Wohnung. Das dachte ich mir auch, als ich letzte Woche mit Konstantin und Helena in die Stadt radelte. Das Baby blieb bei Hannah. Sie sagte, sie wolle den Boden wischen, während das Baby schläft.

 

Ich turnte derweil mit den Kindern auf dem Spielplatz rum. Klettergerüst rauf, Rutsche runter, Karussell. Sie kreischten vor Vergnügen, ich vor Schmerzen, als ich – mir war noch ganz schwindelig – beim Absteigen vom Karussell in ein Loch trat und der Länge nach hinfiel. Es war nass und ich war von oben bis unten mit braunem Schneematsch bedeckt. Die Kinder wollten das jetzt auch. Beim Rückweg durch die Stadt fühlte ich mich wie ein Clown, der seine Seehunde durch die Manege führte. Jetzt weinten die Kinder auch noch und ich dachte schon, die Passanten würden den Polizeinotruf wählen.

 

Als ich die Kinder die Treppen hochgeschleppt hatte, freute ich mich auf eine heiße Dusche und hoffte, Hannah würde in der Zwischenzeit die Kinder in die Badewanne stecken. Doch meine Frau lag auf der Couch zwischen den Babysachen und schlief. Neben ihr auf dem Boden saß klein Paulchen und löffelte Nutella aus dem Glas. Er fütterte auch alle seine Stofftiere.

 

 

Sally

Ich habe meine letzte Schuppe für die anderen gegeben. Dabei liebte ich das Leben. Das offene Meer, die glitzernden Wellen in der Sonne. Solange ich mit meinen Kameradinnen im Schwarm unterwegs war, war ich glücklich. Ob ich innen oder außen schwimmen musste, war mir einerlei – wir waren wie ein einziger Riesenorganismus. Obwohl ich wusste, dass wir unser Leben nach dem Tod in einer ziemlich engen Büchse fristen müssen, packte mich eines Tages der Heldinnenmut. Wir waren vor der Küste Marokkos unterwegs und ich hatte Außendienst. Alles war ruhig; schnell und elegant glitten wir dahin. Da sah ich den Schlund eines Sandtigerhais auf uns zukommen. Ohne eine Millisekunde nachzudenken, riss ich aus der Formation aus, um ihn abzulenken. Ein ganzer Seitenarm unseres Schwarmes tat es mir gleich. Wir stoben auseinander, jede in eine andere Richtung. Dann nur noch Dunkelheit. Kein Ausweg. Ich war auf alles vorbereitet. Mein kurzes Leben schwamm noch einmal an mir vorüber. Die schönen Tage, die vielen Reisen. Die silbrig schimmernde Grazie unserer Formation. Meine Heldinnentat.

 

Was danach kam, ist verschwommen. Aber ich weiß mit Sicherheit, dass ich irgendwann laut kreischend mit zwei ungeschickten Armen und zwei Beinchen in einem Schweizer Krankenhaus lag. Seltsame Wesen um mich herum, den Körper mit Schichten von irgendwas umwickelt, ganz nah an meinem Gesicht ein anderes, ein freudiges, lächelndes, ja seliges Gesicht. Ich fror fürchterlich. Wo bitte waren meine Schuppen? Wo meine Sardinendose?

 

 

 ***

 

«Sally, komm jetzt aus dem Wasser, du hast schon ganz blaue Lippen!»

    «Nein, ich will noch ein bisschen schwimmen, mir ist nicht kalt! Schau, wie schnell ich bin, Papa!»

    «Dir wachsen noch Flossen, komm jetzt!»

    Sally steigt aus dem Wasser und lässt sich von ihrem Vater trockenrubbeln, während sie zitternd weiterplappert. «Au ja, echte Flossen, dann könnte ich bis nach Afrika schwimmen!»

   «Da wären deine Mami und ich aber sehr traurig. Was willst du denn in Afrika?»

   «Na, schwimmen, Papa! In Afrika kann man das ganze Jahr schwimmen, so warm ist es dort.»

   «Ach, ist das so, mein kleines Fischchen? Woher du das nur alles weißt ...»